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Meine Mutter sagt – Rezension

  • Beitrags-Kategorie:Rezensionen
  • Lesedauer:9 min Lesezeit

Ein kurzes, aber sehr gehaltvolles Hörbuch, das mich bestens unterhalten hat und welches ich in einem Rutsch gehört habe. Mal habe ich laut gelacht, mal wollte ich meinen Ohren nicht trauen, ob der Ungeheuerlichkeiten, die sich die Menschen dort an den Kopf werfen, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Meine Mutter sagt“ bietet jede Menge Stoff zum Nachdenken und enthält neben dem nüchternen, oft provokanten Erzählstil der Dialoge sehr poetische Passagen in den “Seepferdchen-Monologen“.

Überblick

  • Autorin: Stine Pilgaard
  • Erscheinungsdatum und Verlag: 9.11.2022, Kanon Verlag
  • Hörbuch, ungekürzte Lesung: ca. 5 Std.
  • Sprecherin: Caroline Peters

Klappentext

Nach dem Erfolg von »Meter pro Sekunde« erscheint nun das sprühende Debüt der erfolgreichsten dänischen Schriftstellerin unserer Tage. Witzig und warm schreibt Pilgaard über Liebe, Familie und das Alleinsein. Und darüber, wie wir uns doch mit Worten umsorgen.

Nachdem die Ich-Erzählerin von ihrer langjährigen Freundin verlassen wird, muss sie zurück zu ihrem Vater ziehen, einem Pfarrer und Pink-Floyd-Fan. Während sie auf ebenso komische wie verzweifelte Art versucht, ihre Ex zurückzugewinnen, wird sie von Freunden und Familie mit Ratschlägen traktiert. Vor allem ihre Mutter bedrängt sie mit zweifelhaften Lebensweisheiten. Doch allmählich lernt sie, zu trauern, ihre inneren Widersprüche zu akzeptieren, laut, betrunken und auf ihre eigene Art weise zu sein. – Ein Roman voller Energie und Eleganz, von Hinrich Schmidt-Henkel aufs Treffendste übersetzt. »Meine Mutter sagt« ist ein moderner Roman über unsere Vereinzelung. Er handelt vom Aneinander-Vorbeisprechen, vom Alleinsein durch Missverständnisse, von Abschieden und vergangener Liebe – und vom Vermögen, sich doch durch Sprache zu erklären.

Über die Autorin

Stine Pilgaard wurde 1984 geboren. Ihr Roman Meter Pro Sekunde war ein Erfolg bei Publikum und Kritik. Meine Mutter sagt ist ihr erster Roman und brachte ihr 2012 den wichtigsten Debütpreis Dänemarks ein. Stine Pilgaard lebt in Kopenhagen.

Sprecherin

Caroline Peters, geboren 7.9.1971 in Mainz, ist eine deutsche Schauspielerin und zurzeit Ensemble-Mitglied des Wiener Burgtheaters. Sie wurde vor allem mit ihrer Rolle der Kommissarin in der satirischen Krimiserie „Mord mit Aussicht“ berühmt.
Anfangs war ich ein wenig enttäuscht. Als ich ihren Namen auf dem Cover las, erwartete ich viel Witz, finde ich sie in ihrer Rolle der Sophie Haas doch zum Schreien komisch. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Doch ich muss meinen anfänglichen Eindruck revidieren. Caroline Peters liest ernst, akzentuiert, mitunter sanft und sehr behutsam und trifft damit genau den Ausdruck des Buches.

Meine Bewertung

Den Titel fand ich irritierend, doch der Klappentext hat mich direkt angesprochen. Also habe ich zugegriffen (wie so oft habe ich mir das Hörbuch umsonst in der Onleihe ausgeliehen) und sofort zu hören begonnen.
Es besteht zum Großteil aus Dialogen – sehr viel mit der Mutter, aber auch mit Mulle (ihrer Kindheitsfreundin), ihrem Vater, ihrem Arzt und ihrer Verflossenen. Das ist ungewöhnlich, aber ein toller Kniff. Alles drumrum, alles Erklärende und Beschreibende fällt weg, was sich allein durch die Dialoge ergibt. Fehlt gerade ein Gegenüber, so erzählt die Protagonistin aus der Ich-Perspektive.

Das Wort „sagen“ taucht unglaublich häufig auf, was deutlich macht, wie sehr unser Miteinander von Worten geprägt ist. Dabei reden die Figuren – insbesondere die Protagonistin und ihre Mutter – in der Regel vollkommen aneinander vorbei. Dabei werden sie selten ungeduldig oder wütend, jeder bleibt in seinem „Monolog“, lässt die Worte des anderen an sich abperlen, manchmal passen sie überraschenderweise zueinander. Die härtesten Aussagen werden getroffen, aber ziemlich emotionslos (ein paar Beispiele findest du in der Kostprobe). Sie prallen an ihrem Gegenüber ab und purzeln zu Boden, haben keine Konsequenzen, trennen nicht, erzeugen aber auch keine Nähe.

Mit Ausnahme von Mulle bleiben alle anderen Mitwirkenden namenlos. Konsequent werden sie nur mit ihrer Beziehungsform genannt: Meine Mutter, der Mann meiner Mutter, mein Vater, die Frau meines Vaters, meine Freundin. Und die neue Liebe erhält gar keine Bezeichnung, bleibt „sie“.

Das hat mir gut gefallen

Das Eigentliche, das zum Ausdruck kommt, schwingt zwischen den Worten. Es sind kurze knappe Sätze, ein schmales Buch, schnell gehört. Aber man sollte es unbedingt mehrmals hören, denn das, was dabei rüberkommt, verändert sich mit jedem Hören.

Dieses kurze Hörbuch ist sehr gehaltvoll, skurril, voller trockenem Witz, mitunter kaum auszuhalten, diese Worte. Und trotzdem – sie verletzen nicht. Es werden Ansichten – insbesondere von der Mutter – ungeschminkt genannt, die so unverschämt, so verletzend sind, aber es nicht tun, sondern vollkommen unberührt bei der Protagonistin verklingen. Das hat mir am besten gefallen. Die Worte, denen wir soviel Macht geben, verlieren an Bedeutung. Bei der Hörerin (oder der Leserin) werden Gefühle erzeugt, die durch die Reaktion der Protagonisten ad absurdum geführt werden. Und es wird deutlich: Es sind nur Worte…..Worte, denen erst wir ihre Bedeutung geben.

Herrlich auch die Dialoge zwischen dem Arzt und der Protagonistin. Hier erfährt sie vom Seepferdchen, dem Arreal im Gehirn – Hyppocampus -, das für unsere Erinnerungen zuständig ist. Dabei erklärt er, dass es sich dabei jedoch nicht um tatsächlich Erlebtes handelt, sondern um eine konstruierte Wirklichkeit. Daraufhin finden sich in die Erzählung eingestreute Seepferdchen-Monologe.

Diese Monologe haben etwas Philosophisches, sie lassen in sehr geballter Form fantasievolle Bilder im Kopf entstehen., voller Poesie. Allein diese Monologe können immer wieder neu gehört werden

Kostprobe

Im Folgenden nenne ich dir exemplarisch einige Textauszüge, die dir einen Eindruck von der Sprache vermitteln, derer sich die Autorin bedient:

  • …Meine Mutter sagt, wenn sie irgendwann mal nur noch ein verblasstes Foto an der Wand ist, dann werde ich schon sehen, wie ich sie vermisse. Ganz ohne Zweifel, sage ich. Ich sage zu meiner Mutter, wenn sie mir ein nicht allzu großes Foto gibt, finde ich sicher einen Platz an der Sonne dafür, wo es würdevoll verblassen kann…
  • …Meine Mutter sagt, es ist ganz unglaublich, wie ich meinem Vater ähnele. „Der einzige Unterschied ist, dass dein Vater nur schwarze Röcke trägt (Anmerkung: er ist Pfarrer) und du keinen Bart hast,“ sagt meine Mutter lachend. Das findet sie urkomisch und zwar jedes Mal, wenn sie es zum Besten gibt. „Dein bisschen Damenbart fällt kaum auf“, sagt meine Mutter. „Höchstens ganz aus der Nähe betrachtet.“…
  • Aus einem Seepferdchen-Monolog: Drinnen im Solarplexus befindet sich ein Bücherregal mit lauter Schädeln auf den Borden… ihr seid die Summe aller meiner Niederlagen, ihr seid alle meine angesammelten Schuldgefühle, in Reih und Glied marschiert ihr auf allen meinen wunden Punkten herum, bewegt euch im Takt mit meinem Schmerz….
    …. und du da rufst einfach nie an und nimmst mir damit die Möglichkeit, das Gespräch nicht anzunehmen.
  • …Ich sage: „Alles, was ich anfasse, geht kaputt.“ Mein Vater blickt erschrocken auf mein Rotweinglas. Er ist wirklich ein guter Vater….

Gesamtbewertung

Ein wundervolles Buch auf hohem sprachlichen Niveau. Kein Wort zuviel und doch absolut gehaltvoll. Es ist erfrischend, urkomisch, bestürzend und dabei voller Denkanstöße. Es bekommt von mir 5 von 5 möglichen Sternen.

Falls du dich nun gerufen fühlst, dir selbst einen Eindruck zu verschaffen, so würde ich mich freuen zu hören, ob du meine Bewertung teilst. Hinterlass mir gern einen Kommentar.

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