You are currently viewing Wo die Wölfe sind – Rezension

Wo die Wölfe sind – Rezension

  • Beitrags-Kategorie:Rezensionen
  • Lesedauer:8 min Lesezeit

Eine sehr gelungene Kombination von Sachbuch und Roman. Du erfährst sehr viel Wissen über Wölfe, die Gründe für ihre Wiederansiedlung in unseren Wäldern, aber auch die Ängste, die das in vielen Menschen auslöst. Das ist eingewoben in einen vielschichtigen Roman, der zugleich Krimi ist, eine Liebesgeschichte, sowie ein Roman über das Heilen tiefer seelischer Traumata.
Im Mittelpunkt stehen Frauen. Welche Rolle spielen sie in unserer Gesellschaft? Wie werden sie von Männern behandelt? Männer stellen für Frauen immer wieder eine Gefahr dar, was in diesem Buch aber nicht eindimensional abgeurteilt wird, die Männer sind nicht per se die „Bösen“. Während aber die Dorfgemeinschaft die Gefahr bei den Wölfen wähnt, lässt sie großes Unrecht zu, das in ihrer Mitte von Männern an Frauen verübt wird.

Überblick

  • Autorin: Charlotte McConaghy
  • Erscheinungsdatum und Verlag: 2022, Argon Verlag
  • Hörbuch, ungekürzte Lesung: 11h 21m
  • Sprecherin: Eva Meckbach

Klappentext

Wer ist die Bestie – der Wolf oder der Mensch? Inti Flynn kommt nach Schottland, um bei der Wiederansiedlung von Wölfen in den Highlands zu helfen. Als Wissenschaftlerin weiß sie, dass die wilden Tiere die einzige Rettung für die zerstörte Landschaft sind. Als Frau hofft sie auf einen Neuanfang. Sie ist nicht mehr die, die sie einst war, hat sich von den Menschen zurückgezogen. Denn die Wolfsbiologin besitzt die seltene Fähigkeit, Gefühle von anderen Lebewesen körperlich nachzuempfinden. Doch die Gewalt, die Inti aus Alaska vertrieb, holt sei ein. Als ein Farmer tot aufgefunden wird und eine Hetzjagd auf ihre Tiere beginnt, muss sie sich ihren Ängsten stellen: Wird sie je wieder menschliche Nähe zulassen können – oder von der Wildnis verschlungen werden, die sie retten will.?

Über die Autorin

Charlotte McConaghy, Jahrgang 1988, hat irisch-schottische Wurzeln, ist aber in Australien aufgewachsen und lebt jetzt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Sydney. Ihr liegen die Natur und die Tierwelt sehr am Herzen und macht sich große Sorgen um den Klimawandel. Diese Passion inspirierte sie zu ihrem Erstlingswerk „Zugvögel“, das zum Spiegel-Bestseller avancierte. Hier verfolgt sie die Küstenseeschwalben, von denen es in der Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist, nur noch sehr wenige gibt. Auch für ihr neues Buch „Wo die Wölfe sind“ hat sie sich eine bedrohte Tierart ausgesucht.

Über die Sprecherin

Eva Meckbach, geboren 1981, ist eine deutsche Schauspielerin, Hörspiel- und Hörbuchsprecherin. 2019 wurde sie mit dem deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
Sie liest dieses Buch sehr passend, verleiht der Geschichte trotz der Schwere, die latent die ganze Zeit über ihr liegt, etwas Schwebendes.

Meine Bewertung

Mehrmals wurde mir dieses Buch vorgeschlagen, doch immer wieder habe ich es beiseitegelegt. Warum eigentlich? Irgendwas am Klappentext hat mich abgeschreckt. Vielleicht hatte ich Sorge, dass es zu dunkel ist, dieses Buch.
Als ich es schließlich doch in der Onleihe der Stadtbücherei auslieh, konnte ich nicht mehr aufhören, die Geschichte zu verfolgen. Die Wölfe, deren Wiederansiedlung den Rahmen für die Story spannt, machen Platz für die Menschen, die eine Gemeinschaft bilden, die jedoch nicht jedem Schutz bieten kann. Abwechselnd taucht man in die Welt der Wölfe ein, die sich immer mehr mit der der Menschen vermischt.
Man erfährt sehr viel über das Wesen der Wölfe und ihre Bedeutung für das Ökosystem. Überrascht hat mich das Ausmaß, in dem sie die Renaturierung unserer Wälder möglich machen.

Scheint die Bedrohung anfangs noch von den Wölfen auszugehen, so wird immer deutlicher, dass die Menschen diejenigen sind, deren Handlungen nicht kalkulierbar sind und vor deren Taten es keinen wirksamen Schutz gibt. Während bei den Tieren alles einem festen Plan folgt (normalerweise) hat der Mensch vielfach die Verbindung zur Natur und damit zu seinem Ursprung verloren. Das Buch kreist um die Fragen: Was ist gut und was ist böse? Wie kann man sich schützen? Was passiert, wenn man das Vertrauen verliert?

Charlotte McConaghy entfaltet ihre Geschichte rund um Inti und Aggy, den beiden Zwillingsschwestern. Wir erleben mit, wie schwierig es ist, traumatische Erlebnisse zu überwinden und dabei aus eigener Kraft wieder ins Leben zurückzufinden.
Bei den Menschen in diesem Dorf ist nichts so, wie es scheint. Erst nach und nach klären sich für den Leser die Zusammenhänge und Hintergründe auf, Es geschieht ein Mord – doch wer ist der Schuldige? Bis zum Schluss ist es vollkommen unklar. Immer wieder stellt sich die Frage; Was ist Wahrheit, was ist eingebildet oder Traum? Gerade getroffenen Aussagen werden zurückgenommen, ständig senkt sich wieder Nebel über die eben scheinbar gewonnene Klarheit.

Das hat mir gut gefallen

Wölfe interessieren mich schon lange und ich beobachte die Wiederansiedlung dieser Spezies in den heimischen Wäldern mit großem Interesse. Wenn tatsächlich Wölfe in der nahen Umgebung gesichtet werden, bekommt das Thema eine unmittelbare Bedeutung. Die Schilderung der Wölfe im Buch ist sehr eindringlich und packend. Es wird deutlich, wie sehr wir in das Ökosystem eingreifen und es aus der Bahn werfen, wenn wir nur an unsere eigene Sicherheit denken. Eine trügerische Sicherheit, denn letztlich ist auch unsere Existenz von einem funktionierenden Ökosystem abhängig. So ist die Lektüre allein schon deshalb ein Muss für alle diejenigen, die Angst vor der Wiederansiedlung der Wölfe in unseren Wäldern haben.
Der Erzählstil von Charlotte McConaghy ist klar und leicht, unglaublich zart geht sie mit ihren Figuren um. Sie vereinen alle eine große Stärke mit einer hohen Verletzlichkeit. Trotz der Schwere, die die Erzählung bis zum Ende begleitet, durchzieht sie ein Hoffnungsschimmer. Nebenschauplätze machen deutlich, worum es der Autorin geht: Nicht die Perfektion ist für das Ergebnis wichtig, sondern die Intention, die dahinter steht. Der Fokus liegt auf dem, was uns antreibt, der Blick dahinter ist gefragt. So dient beispielsweise ein Strickkränzchen, in dem auch Männer willkommen sind, mehr dem Miteinander als der Produktion perfekter Stücke. Die zweifelhaften Exemplare werden dankbar und selbstverständlich von den Beschenkten getragen. Regelmäßig trifft sich eine Gruppe von Freunden, um die schiefen Möbelstücke zu reparieren, die der Leidenschaft ihres Erbauers entspringen, dem jedoch das Talent fehlt. Sie belehren ihn nicht, versuchen nicht, ihn davon abzuhalten, sondern sie unterstützen ihn, indem sie ungefragt helfen.

Gesamtbewertung

Die Themen, die mich zur Zeit bewegen, finde ich in diesem Buch wieder. Wie kann ich gut im Einklang mit der Natur leben? Wie finde ich zurück zur Natur? Wer bin ich? Wie kann ich mich schützen und doch mit anderen in Beziehung sein? Die Protagonisten in „Wo die Wölfe sind“ bestätigen einmal mehr die Aussage: Zuerst muss man sich selbst finden, bevor man jemand anderen finden kann.
Auch dieser Roman erhält von mir 5 von 5 Sternen. Er bietet jede Menge Denkanstöße und beleuchtet die Situation von Frauen in unserer Gesellschaft.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar